Retrodant.blogspot.com - die 70er - 90er Jahre im Rückblick

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Mittwoch, 23. September 2015

C64 – All Stars Vol. 08 : Turrican und die Wiedervereinigung.


Turrican und der sozialhistorische Kontext seiner Entstehung.

  

1990 war nicht nur in der Geschichte der Videospiele ein epochales Jahr. Helmut Kohl sieht endlich seinen politischen Lebenstraum verwirklicht und geht als erster Bundeskanzler des frisch wiedervereinigten Deutschlands in die Geschichtsbücher ein. Sein damaliger Widersacher Oskar Lafontaine , welcher für eine langsame Wiedervereinigung und zumindest vorübergehende Koexistenz der beiden deutschen Staaten in ihren momentanen Grenzen plädiert, wird bei der damaligen Bundestagswahl mit einem auch für die SPD niederschmetternd niedrigen Ergebnis abgestraft. „Grenze“ ist damals für viele Menschen ein Unwort ; vieler Ortens auf der Welt beginnen damals jahrzehntelang gewachsene politische Konfigurationen zu zerbröckeln. Auch in der Sowjetunion gelingt es ersten Staaten, sich vom kommunistischen Regime abzuwenden.
Nach jahrelanger Stagnation im Zeichen des kalten Krieges herrscht damals in den Köpfen vieler Menschen ein wahrer Veränderungsrausch. Grenzen jeglicher Art erscheinen als Relikt vergangener Tage; plötzlich scheint vieles bisher unmöglich geglaubte mit einem Male realisierbar. 
 Der C64 hat damals eigentlich bereits seinen Zenit überschritten und sieht sich langsam von den ungleich leistungsstärkeren , allerdings beachtlich teueren16 Bit Konkurrenten Amiga und Atari ST verdrängt. Die Wiedervereinigung beschert dem in die Tage gekommenen Brotkasten dann allerdings noch einmal eine Gnadenfrist.
Die Jugendlichen in den neuen Bundesländern, damals trunken von allen Unterhaltungsgeräten aus dem Westen, hatten trotz aller auch in der DDR vorhandener elektrischer Rechenknechte einen immensen Nachholbedarf an Heimcomputern. Aufgrund seines geringen Anschaffungspreises entsteht hier fast über Nacht ein neuer Massenmarkt für den in die Tage gekommenen 8 Bit Klassiker von Commodore.

Dieser verlangt dann natürlich vor allem nach einem. Nämlich neuen Spielen. Für viele Software Hersteller ist es damals wieder lukrativ geworden, eine längere Entwicklungsarbeit in hochwertige C64 Titel zu investieren. Der neu entstandene Markt in den neuen Bundesländern verspricht schließlich nie gekannte Absatzmöglichkeiten.
  

Turrican versus technische Restriktionen des C64.

 

 Ein herausragendes Beispiel von grenzüberschreitenden Brotkasten Klassikern ist das 1990 erschienene 2 D Ballerspiel Turrican. Und dies nicht nur aufgrund seines vortrefflichen Verkaufes in den neuen Bundesländern. Der Programmierer des Brotkasten Klassikers, Manfred Trenz , setzte sich in diesem Spiel nämlich über viele bislang als von der Hardware vorgegeben geltende technische Restriktionen des C64 hinweg. Bisher als unmöglich erachtetes verzauberte mit einem Mal die Augen der Spieler dieser Republik. Obwohl der C64 von Hause aus eigentlich bestenfalls 8 Spielfiguren ( Sprites ) gleichzeitig darstellen kann, verlangen in diesem Baller Kunstwerk bis zu 16 Gegner der Erledigung durch den Joystick. Trotz gerade einmal 64 KB Hauptspeicher – jeder Taschenrechner ist heutzutage besser bestückt – gibt es bei Turrican riesige Spielwelten zu bewundern. 13 Level mit einer Größe von insgesamt 1300 Bildschirmen gilt es von Gegnern zu säubern. Und dies in einer Farbenpracht, welche man zuvor als auf dem Brotkasten als nicht realisierbar angesehen hat. Von Hause aus ist der C64 nämlich nur zu der gleichzeitigen Darstellung von 8 Farben fähig. Hier strahlen die oftmals riesigen Gegner – welch ungläubiges Staunen , als ich das Spiel damals zum ersten Male zockte - ohne unangenehmes Flackern in teilweise 16 Farben !

 Turrican : Story.

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 Nicht nur aufgrund seines Überschreitens vieler als zuvor unumstößlich geltenden technischen Grenzen ist Turrican ein paradigmatisches Beispiel seines sozialhistorischen Kontextes. Inhaltlich geht es um die Befreiung der Welt von einem dreiköpfigen Morgul – einem Dikator -, welcher nachts im Traum in den Köpfen seiner Untertanen für Alpträume und Schlaflosigkeit sorgt. Ostblock im futuristischen Gewand ! Der Spieler hat nun die Aufgabe – selbstmurmelnd ausgestattet mit Waffen der neuesten technischen Entwicklungsstufe – den Diktator und seine Schergen in teilweise riesigen Spielabschnitten zu finden und auszuschalten.

  

Turrican : Spiel.

 

 Die Darstellung der Spielabschnitte ist hier klassisch zweidimensional ; in allen 8 Richtungen bewegt sich der Spieler durch sehr sauber scrollende Spielabschnitte. Von seinem Spielprinzip ist Turrican eine Mischung aus Jump and Run und vertikalem Shoot'em Up . Angereichert mit einer Gehirnzellen stabilisierenden Brise Action Adventure.
In jedem Spielabschnitt gibt es nämlich eine gehörige Anzahl an Geheimräumen zu entdecken, in welchen sich viele Extras (Extrawaffen !! ) abgreifen lassen. Und die Entdeckung von diesen ist dem Spieler auch dringend geboten. Anfangs steht nämlich nur ein sehr begrenztes Waffen Arsenal – ein paar Mienen, eine Wumme mit eher mauer Durschlagekraft - zur Verfügung. Nur hiermit gegen die teilweise riesigen Gegner anzutreten, ist trotz wund gefeuertem Daumen ein eher hoffnungsloses Unterfangen !! Jede Waffe ist manigfach aufstockbar – allerdings nur, wenn die hierfür notwendigen Extras auch gefunden werden.
Selbstredend steht zur Bewältigung von jedem Level nur ein beschränktes Zeitkontingent zur Verfügung. Dieses ist bei Turrican zwar motivierend knapp, allerdings immer fair bemessen. Mit etwas Übung und genügend Hornhaut auf dem Feuerdaumen ist auch für einen Durchschnittsspieler jeder Abschnitt in der geforderten Zeit zu schaffen.

 Turrican : Level Design.

 

 Wie bereits beschrieben, ist die Spielwelt von Turrican für C64 Verhältnisse riesig. Insgesamt 1300 Bildschirme, aufgeteilt auf 13 Level, welche sich in 5 Welten unterteilen, warten darauf, von Gegnern gesäubert zu werden. Und diese haben es wahrlich in sich ! 50 verschiedene Gegner bewegen sich beachtlich intelligent durch die Spielabschnitte. Nach jedem Unterabschnitt warten teilweise riesige Endgegner auf ihre Befeuerung. Und riesig ist hier wahrlich nicht untertrieben. Viele sind deutlich größer als der Bildschirm und trachten hervorragend animiert nach dem Leben des Spielers. Der Level Aufbau lässt sich mit den Worten hart, aber fair beschreiben. Der Spieler hat trotz manchem frühen Ende immer das Gefühl, den jeweiligen Abschnitt doch noch schaffen zu können. Neuer Versuch neues Glück – trotz eines anspruchsvollen Schwierigkeitsgrades ist bei Turrican stets für die „ ich will weiterspielen „ Motivation des Spielers gesorgt.

 Turrican : Steuerung.

 

 Hierfür sorgt natürlich auch die durchdachte Steuerung des Spieles. Wie auf dem C64 üblich, wird das Spiel mittels eines an Port 2 angeschlossenen Joystick – in den allermeisten Fällen wohl ein Competition Pro - gesteuert. Mittels Joystick links oder rechts ist der Spieler dazu zu bewegen, in die entsprechende Richtung zu laufen. Altbekannt und bereits damals in den allermeisten Jump and Run Spielen logische Zwangsläufigkeit. Interessanter ist bei Turrican die Möglichkeit, den Spieler in einen unverwundbaren Kreisel zu verwandeln. Hierzu ist der Joystick bei gleichzeitigem gedrückt halten der Space Taste – die lange graue Taste auf der Brotkasten Tastatur - nach unten zu ziehen. Einmal zum Kreisel mutiert, können Feinde durch blose Berührung getötet werden. Kein Vorteil ohne Nachteil : der Kreisel rollt automatisch und kann mittels Joystick nur nach links oder rechts bewegt werden. Selbstredend kann der Kreisel Joker nur ein begrenzte Anzahl an Malen angewendet werden. Pro Leben kann der Spieler maximal 3 mal in einen Kreisel mutieren.
Nützlich bei Turrican ist es auch, die F7 Taste im Auge zu behalten. Hiermit kann der Spieler eine Granate werfen, welche so gut wie alle auf dem Bildschirm befindenden Gegner zerstört.
Natürlich wurde bei Turrican auch an einen Pause Modus gedacht. Mittels CTRL Taste kann das momentane Spiel angehalten werden.
Natürlich gibt es noch andere Steuerungselemente, auf welche im folgenden nicht weiter eingegangen werden kann. Zusammenfassend lässt sich feststellen, das bei Turrican auf dem C64 eine in der Praxis hervorragend funktionierende Kombination aus Joystick und Tastatur Steuerung implementiert wurde. Bereits nach kurzer Einspielphase ist diese auch von einem Durchschnittsspieler intuitiv zu handeln.

 Turrican : Musik und Geräusche.



Bezüglich Musik und Geräuschen kann Turrican auf ganzer Linie überzeugen. Die Titelmusik, für welche sich mit Chris Hülsbeck und Stefan Hartwig zwei Ausnahmetalente der spät 80er Jahre Computermusik verantwortlich zeigen, kann auch heute noch uneingeschränkt überzeugen und wurde nicht ohne Grund von vielen Künstlern die letzten 20 Jahre über remixt. Auch hier wurden die technischen Grenzen des C64 scheinbar selbstverständlich überwunden. Von Haus aus ist der Soundchip des C64 eigentlich nur in der Lage, 3 Stimmen zu erzeugen. Bei Turrican trällern auf wundersame Weise deren 5 aus dem Lautsprecher des Commodore Monitor ( oder damals wahrscheinlicher : dem heimischen Röhren Farbfernseher). Aber auch bezüglich seiner Komposition weiß die Musik zu gefallen – treibende Synthie Klänge treiben den Spieler zu immer neuen Bestleistungen an. Wer sich von der Musik einmal ein Bild machen möchte und keinen C64 mehr sein eigen nennt, wird bei youtube und anderen Plattformen mittels der Suchbegriffe C64 + Turrican + Soundtrack relativ rasch zu seinem erwarteten Ohrenschmaus gelangen.
Heutzutage tausendfach gehörter Standard , damals zumindest auf dem Brotkasten revolutionär : da Spiel geizt nicht mit Sprachsamples. Gleich zu Beginn begrüßt eine etwas pathetisch und finster klingende Stimme den Spieler mit markigen Sätzen der Art „ Welcome to Turrican. Shoot or die “ .
Ein Satz, welcher damals wohl fest im Sprachgebrauch von jedem 12 jährigen verankert war.

Die Geräusche passen bei dem Spiel perfekt zu der jeweiligen Spielsituation. Einige Gegner kündigen sich durch entsprechende Geräusche bereits im Vorfeld an. Sie sind bei Turrican selten nur Selbstzweck und erfüllen zumeist eine bestimmte Funktion.
Weniger ist oftmals mehr. In den Jump and run Levels wurde bewusst auf Hintergrundmusik verzichtet. Hier rennt der Spieler in einer fast schon klaustrophoben Stimmung durch die riesigen Spielabschnitte. Die Ohren werden hier nämlich nur durch die Geräusche der herannahenden Gegner Formationen abgelenkt. Eine gespenstische Stille ; die Spannung des Spielers steigt in das schier unermessliche.
Sowohl Geräusche als auch Musik verdienen im Falle von Turrican die Bestnote. Technisch perfekt, dient beides dem bewussten Spannungsaufbau und erfüllt somit stets einem vorher festgelegten Zweck. Level Aufbau und musikalische Untermalung ergeben hier eine untrennbare Einheit. Derartiges Vorgehen ist auch heutzutage noch nicht selbstverständlich, da bei vielen Spielen Geräusche und Musik relativ willkürlich erscheinen.

 Turrican : Auf dem heimischen PC.

 

 Nicht jeder, der den 1990er Klassiker zuhause einmal zocken möchte, wird einen C64 zur Hand haben. Auch nicht unbedingt notwendig, da für den PC zahlreiche recht leistungsstarke C64 Emulatoren zur Verfügung stehen. Eine brauchbare Anleitung, wie ein derartiges Programm zu installieren ist, findet sich unter : http://www.nemmelheim.de/turrican/files/vice/index.php.
Komplett ohne Joystick und nur mit der PC Tastatur ist der Action Kracher natürlich etwas umständlich zu steuern. Wer gefallen an dem Spiel gefunden hat, sei daher zum Kauf eines C64 Competition pro ( der mit dem roten Schaltknüpel ) in der USB Variante geraten. Ein derartiges Eingabegerät macht die Brotkasten Illusion fast perfekt und ist bei den entsprechenden Versandhäusern für + / - 20 Euro erhältlich.

 Turrican : Umsetzungen für andere Systeme.

 

 Turrican entwickelte sich 1990 zu einem beachtlichen Verkaufserfolg. Wenig verwunderlich, das in rascher Abfolge Adaptionen für fast alle damals populären Heimcomputer- und Konsolen Systeme (Game Boy, Sinclair Spectrum, CPC, Atari ST , Amiga etc) folgten. Während die meisten Umsetzungen der C64 Version in technischer Hinsicht nicht das Wasser reichen konnten , übertraf sich das Entwicklerteam mit der Commodore Amiga Version noch einmal selbst und verhalf diesem sicherlich zu einem zusätzlichen Popularität Sprung .


 Turrican : Zusammenfassende Kritik.

 

 1990 wie heute : Turrican hat fraglos volle 5 Punkte verdient. In einer Epoche, welche sich selbst am Ende der Geschichte (Fukuyama , 1992) sah und sich der Brotkasten (C64) eigentlich bereits auf dem absteigenden Ast befand, zeigte das Entwicklerteam um Manfred Trenz, was auf dem betagten Commodore Rechner eigentlich alles möglich ist. Technische Restriktionen wurden hier mit einer programmiertechnischen Leichtigkeit außer Kraft gesetzt. Jeder heutige Entwickler, welcher in immer rascherer Abfolge nach schnellerer Hardware schreit, sollte sich hieran ein Beispiel nehmen und endlich lernen, da gegebene auch wirklich auszureizen.
Aber auch abseits dieser technischen Meisterklasse ist Turrican ein Jahrhundert Titel, in welchem tonnenweise Spielspaß steckt. Die Motivation ist riesig, der Levelaufbau durchdacht und die Gegner Formationen beeindruckend. Die grafische Perfektion des Spieles geht hier mit Soundeffekten einher, welche die jeweilige Spielsituation beinahe filmreif untermalen. Ohne Frage ein Meilenstein in der Geschichte des C64.