Paperboy : Das Automaten Vorbild.
Ein Blick zurück
in die eigene Kindheit führt mit voranschreitendem Lebensalter fast
immer zu beachtlichen Idealisierungen. Das damals besuchte und/oder
konsumierte erscheint in der Erinnerung zumeist um Längen größer,
bunter und bahnbrechender , als es damals tatsächlich gewesen war.
Dies gilt besonders für die von vielen meiner Generation verklärten
Spielhallen der 80er Jahre.
Anders als heute
standen damals in derartigen Etablissements eindeutig
Geschicklichkeit Spiele wie Pac Man oder Outrun im Fokus des
Interesses. Reine Glücksspielgeräte waren – sofern überhaupt
vorhanden - zumeist in einem separat zugänglichen Raum
untergebracht. Geschickter Schachzug der damaligen Betreiber, da mit
einem derartigen Raumgestaltung auch minderjährigen Besuchern der
Zugang zu den heiligen Hallen der Schultage füllenden Joystick
Rüttelei offenstand.
Als ich Mitte der
80er Jahre als 11 jähriger zum ersten Mal – angefixt von zwei
älteren Kollegen - eine derartige Spielhalle besuchte, wähnte ich
mich mit einem Bein im Paradies. Ein riesiger abgedunkelter Raum
voller grell blinkender Videospielgeräte. Einige sogar mit
pädagogisch mehr oder weniger sinnvollen Zusatz Features wie
anmontierten Gewehren oder Motorrad Sitzen mit eingebauter Hydraulik.
Zumeist umlagert von Mofa fahrenden Jünglingen mit Heavy Metal
Emblem Jeans Jacke und dezentem Schnauzbart Ansatz. Welch aufregend
neue Welt für einen 12.jährigen ! Besonders von einem DM Grab mit
einem leibhaftigen Fahrradlenker als Steuerungselement fühlte ich
mich damals wochenlang – Taschengeld ade - wie magisch angezogen.
Hierbei handelt es
sich um den Paperboy Automaten von Atari, welcher 1984 das
zumeist abgedunkelte Licht der Spielhallen erblickte. Der Spieler
übernimmt hier die Rolle eines Zeitungsjungen, welcher in einer
typisch amerikanischen Vorstadt mit seinem Drahtesel – wir befinden
uns in den 80er Jahren ; natürlich stilecht ein BMX Rad - die
morgendliche Tageszeitung auszuliefern hat. Zeit ist Geld und nur ein
schneller Zeitungsjunge ist ein guter Zeitungsjunge –
selbstmurmelnd steigt der Paperboy bei seinem morgendlichen
Auslieferung Runde nicht vom Radel ab. Bei voller Fahrt wirft er den
Abonnenten die Tageszeitung in den Vorgarten oder Briefkasten.
Hierbei gilt es natürlich zu Vermeiden, Sachschäden aller Art zu
verursachen. Ganz fatal ist es beispielsweise, aus Versehen die
Scheibe eines Kunden einzuwerfen. Sofortiges de abonnieren ist die
zwangsläufige Folge. 7 Tage hat die Woche und genau so viele Level –
welche selbstmurmelnd immer schwieriger werden - der Paperboy
Automat. Irgendwie logisch, den eine Tageszeitung erscheint
schließlich täglich. Am Ende jedes Spielabschnittes (Wochentages)
gilt es beim Automaten einen Bonus Parkour in Form einer hügeligen
Landschaft. Diesen gilt es, so schnell als möglich und natürlich
ohne Sturz zu bewältigen.
Das Spielprinzip
– möglichst allen Kunden in möglichst kurzer Zeit verlustfrei die
morgendliche Lektüre zuzustellen - war natürlich bereits 1984 nur
bedingt innovativ.
Paperboy : Faszination eines
Spielautomaten.
Seinen Erfolg
verdankte er zu einen vor allem seinem für damalige Verhältnisse
neuartigen Steuerungsinstrument. BMX war 1984 bei jedem
Jugendlichen in aller Munde und einen Spielautomaten mit einem BMX
Lenker als Steuerungselement hatte die Welt bis dato noch nicht
gesehen. Jeder wollte Ataris Dukaten Esel – in fast jeder
Spielhalle stand zumindest ein Exemplar des Automaten – zumindest
einmal gespielt haben.
Zum anderen ging
Paperboy in seiner grafischen Darstellung neue Wege. Zum
ersten Mal wurde das Spielgeschehen in einer isometrischen
Perspektive dargestellt. Die Spielfigur bewegt sich hierbei diagonal
durch die sehr sauber scrollenden Level. Durchaus visuelles Neuland
Mitte der 80er Jahre; bis zu diesem Zeitpunkt ging der Weg eines
Videospielhelden zumeist entweder von links nach rechts oder von
unten nach oben.
Nicht zuletzt
konnte der Paperboy Automat durch seine mitunter recht
humorige grafische Darstellung punkten. Die verschiedenen
Spielabschnitte sind nämlich von einer Vielzahl an mehr oder weniger
liebenswerten Zeitgenossen bevölkert, welche unserem Zeitungsjungen
als menschliche Hindernisse seine morgendliche Arbeit nicht gerade
erleichtern. Von Rockern über Limousine fahrenden Snobs bis zu
Gevatter Tod, welcher hier früh morgens wahrscheinlich nicht ganz
erfolglos seine Runden dreht, wurde in dieser Vorstadt bis auf
vielleicht einen Amokschützen fast nichts ausgespart, was die
amerikanische Realität so her gab und gibt. Sehenswerte Details an
vielen Stellen- so finden sich in einigen Vorgärten beispielsweise
tatsächlich Grabsteine.
Für damalige
Verhältnisse waren die Figuren durchaus grafisch ansprechend,
detailiert und flüssig animiert dargestellt.
Paperboy : Die C64 Umsetzung.
Die 80er Jahre
waren der Beginn des Homecomputer Zeitalters. Zumindest fast jeder
männliche Jugendliche – zu diesen Zeiten waren Computer eine fast
ausschließliche Männer Domäne - hatte damals in seinem Zimmer
folglich einen oder mehrere 8 – Bit Rechner stehen. Zumindest in
unseren Breiten in vielen Fällen einen C64 von Commodore. Als 1986
mein in der Spielhalle geliebtes Paperboy endlich für den
Kinderzimmer thronenden und gerade einmal 64 KB Hauptspeicher
besitzenden Brotkasten – die älteren Leser werden sich eventuell
erinnern : der C64 sieht einem Brotkasten nicht unähnlich –
erschien, machte ich mich mit meinen sauer ersparten 29,80 DM
sofort auf den Weg in die nächste Computer Abteilung und erstand
meinen geglaubten Spielautomaten für Zuhause in der Tape (Kassetten
waren damals gebräuchliche Speichermedien für Computer Programme)
Version.
Und wurde nicht
zum letzten Mal in meinem Leben bitterlich enttäuscht ! Die von der
damals recht populären Software Schmiede Elite Systems durchgeführte
Konvertierung des Erfolg Automaten auf den C64 entpuppte sich nämlich
als recht liebloser Versuch, mit dem Zeitungsjungen auch zuhause in
den Kinderzimmern der Saumagen regierten BRD schnelle Kasse zu
machen.
Das grundsätzliche
Spielprinzip – an jedem Wochentag mittels BMX Rad die
Tageszeitung möglichst schnell und verlustfrei auszuliefern –
blieb natürlich selbstmurmelnd auch auf dem C64 erhalten.
Paperboy : Die C64 Umsetzung –
Grafik.
Allerdings blieb
die grafische Darstellung – sowohl aus dem Blickwinkel von damals
wie aus dem von heute - klar hinter den durch entsprechende
Werbemaßnahmen gehypten Erwartungen zurück. Das auf meinem C64,
welcher ja bestenfalls zur Darstellung von 320 x 200 Bildpunkten bei
maximal 16 Farben fähig ist, keine 1 zu 1 Umsetzung des Automaten
(immerhin eine Auflösung von 412 x 384 Bildpunkten mit immerhin 256
Farben)) zu erwarten war, leuchtete mir durchaus auch als 12.
Jähriger ein. Was ich dann allerdings zuhause auf meinem Commodore
Monitor erblickte, ließ mich zumindest an einigen Stellen an eine
beginnende Seeschwäche glauben. Während die Hintergrundgrafiken
zumindest noch eine Ähnlichkeit mit dem Automaten Vorbild erkennen
ließen, braucht es bei verschiedenen Spielfiguren recht viel
Fantasie , um diese überhaupt noch als Figur erkennen zu können.
Ein großer Reiz
des Arcade Vorbildes besteht schließlich gerade in den teilweise
sehr fantasievoll und detailliert gestalteten Passanten (Gevatter
Tod und Kollegen), welche einem bei der morgendlichen Zeitung Runde
vor das Radel laufen ! Hiervon war bei der Umsetzung auf den 8 Bit
Rechner von Commodore nicht mehr viel übrig geblieben ! Dieser
grafische Dilettantismus fängt bereits bei der eigentlichen
Spielfigur an. Das der Paperboy ein schmuckes BMX Rad fährt , lässt
sich nur mit sehr viel Fantasie erkennen. Die Darstellung der meisten
Passanten ist im harmlosesten Fall lieblos (Talent frei trifft den
Sachverhalt wohl besser) und lässt nur mit Mühe Ähnlichkeiten zum
Automaten erkennen. Das der C64 durchaus in der Lage ist,
detaillierte und farblich ansprechende Spielfiguren darzustellen,
zeigten Klassiker wie Turrican , Giana Sisters oder auch
International Karate zur Genüge. Es liegt die Vermutung nahe, das
Elite Systems damals mit Paperboy einen Schnellschuß getätigt hat,
um finanziell von der Popularität des Automaten zu profitieren. Die
gierige Jugend kauft das Teil ja eh – warum also in die grafische
Entwicklung viel Mühe investieren.
Paperboy : Die C64 Umsetzung –
Steuerung.
Ein
Spiel wie Paperboy lebt natürlich vor allem auch von der Präzision
seiner Steuerung. Auf dem Automaten ist diese mittels des eingebauten
BMX Lenkers hervorragend und zumindest damals – sehr innovativ
gelungen. Der C64 verfügte von Hause aus natürlich über keine
derartigen Steuerungsinstrumente. Hier wird das Spiel mittels eines
an an Port 2 angeschlossenen Joysticks delegiert. Ich
persönlich verwendete hier bevorzugt einen Competition Pro – der
große rote Knüppel mit dem riesigen Feuerknopf - , da dieser
hervorragend in der Hand liegt und eine punktgenaue Steuerung
zulässt.
Die Kollisionsabfrage ist bei
dem Spiel zwar durchaus recht präzise – Zusammenstöße mit den
vielen undefinierbaren Passanten werden also zeitnah und recht Pixel
genau erkannt. Allerdings erweist sich die isometrische
Darstellungsweise des Spieles als nicht unbedingt optimal –
zumindest mit einem herkömmlichen Freudenknüppel ist es nämlich
recht gewöhnungsbedürftig, den Zeitungsjungen durch die
übergewichtige Vorstadt zu bugsieren. Auch bewegen sich die
Passanten Formationen zum Teil mit einem unrealistischen Affenzahn
durch die Level, welcher eine sinnvolle Steuerung zumindest recht
schwierig macht. Nicht selten auch, das ein Passant quasi aus dem
Nichts urplötzlich vor dem Radel auftaucht. Um hier angemessen
reagieren zu können, hilft es nur, die in jedem Level und bei jedem
Spieldurchgang immer gleichen Angriffsformationen stupide auswendig
zu lernen. Zumindest bezüglich Gedächtnistraining taugt die
Paperboy Umsetzung auf dem C64 also durchaus.
Alles in allem zieht sich die bereits
konstatierte lieblose Durchschnittlichkeit auch bei der Steuerung
nahtlos fort. Zusammenstöße werden zwar durchaus präzise erkannt;
die Gegner Formationen bewegen sich aber vielfach deutlich zu schnell
und tauchen ab und an quasi aus dem Nichts auf. Ohne vorheriges
Auswendiglernen der Passanten (Gegner) Bewegungen ist das Spiel an
einigen Stellen fast unspielbar !
Paperboy : Die C64 Umsetzung –
Musik und Geräusche.
Musik und Geräusche sind bei
dem Spiel hingegen recht gelungen und abwechslungsreich. Diese
stammen von dem C64 Sound Magier Mark Cooksey, welcher sich für die
musikalische Untermalung von vielen Brotkasten Klassikern wie Bom
Jack, Airwolf oder auch Space Harrier verantwortlich zeigte. Die
Titelmusik klingt zwar beim ersten Hören vielleicht a biserl schräg;
bleibt aber aber dennoch auch nach fast 30 Jahren sofort im Ohr des
Hörers hängen. Ein akustisches Wiedererkennungszeichen erster Güte.
Dies gilt auch für die eigentliche In – Game Musik. Irgendwie
lässig und einprägend klingend, passt sie perfekt zu dem damals
wichtigsten Fortbewegungsmittel eines jeden Heranwachsenden; dem BMX
Rad.
Geräusche sind in dem Spiel natürlich
auch zu hören und recht stimmig de jeweiligen Spielsituation
angepasst. Bezüglich der akustischen Seite gibt es bei der C64
Umsetzung von Paperboy also wahrlich nichts zu granteln. Wer sich
hiervon gerne einmal mit den eigenen Ohren überzeugen möchte, kann
dies unter https://www.youtube.com/watch?v=qSWmzA9ztTc
gerne tun.
Paperboy : Die C64 Umsetzung –
selbst zocken.
Um die C64 Version von Paperboy selbst
einmal zocken zu können, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sofern
man noch einen C64 besitzt, kann man zum einen natürlich versuchen,
das Original Spiel antiquarisch auf der Bucht, Flohmarkt oder der
Retro Börse seines Vertrauens zu erstehen. Ein nicht ganz günstiger
Spaß, den trotz seiner etwas lieblosen Umsetzung ist der C64
Zeitungsjunge zu einem gesuchteren Sammlerartikel geworden. Preise
zwischen 60 Euro – 90 Euro sind für ein Original Spiel eher
Regel als Ausnahme.
Es geht allerdings auch kostenlos.
Nämlich mit einem kostenlosen Programm, welches auf dem heimischen
PC einen C64 emuliert. Beispielsweise Emu64, welcher unter
http://www.pcfreunde.de/download/d17054/emu64/
kostenlos heruntergeladen werden kann. Den eigentlichen Paperboy
findet man selbstmurmelnd gleichfalls kostenlos unter
http://www.gamebase64.com/game.php?id=5549
zum herunterladen. Um das Spiel dann allerdings sinnvoll auf dem PC
zocken zu können, ist die Anschaffung eines Joystick – für ein
paar wenige Euro ist ein C64 Competition Pro in einer USB Variante
erhältlich - lebensnotwendig sinnvoll. Nur mit der Tastatur ist ein
Spiel wie Paperboy (vgl. Steuerung) unspielbar.
Wer nicht selbst zocken und nur
konsumieren möchte, sei auf einen der zahllosen Lets Play
Videomitschnitte auf youtube oder anderen Videoplattformen verwiesen.
Als ein Beispiel unter vielen sei hier auf
https://www.youtube.com/watch?v=cA2M7gOqzz0
verwiesen.
Paperboy : Die C64 Umsetzung –
zusammenfassende Kritik.
Wenn man einmal die idealisierende
Retro Brille abnimmt, dürfte sich rasch der Gedanken aufdrängen,
das sich bereits der 1984 erschienene Spielautomat nicht gerade durch
ein besonders innovatives Spielprinzip auszeichnete. Seinen Erfolg
hatte er wohl vor allem seinem Steuerungsinstrument – einem
original getreuen BMX Rad Lenker – zu verdanken, welcher zumindest
damals mitten in das Herz des jugendlichen Zeitgeistes lenkte.
Mit derartigem konnte der C64 natürlich
nicht aufwarten. Zumindest bis zum Jahr 2003, als einige
ambitionierte Bastler (inzwischen nennt man derartige Personen wohl
Nerds) im Rahmen der Hobby Tronic Messe eine aus einem 80er Jahre
Heimtrainer bestehende Fahrrad Steuerung für das C64 Spiel Paperboy
vorstellten. Wer sich tiefer gehender für dieses Projekt
interessieren sollte, sei auf
http://www.dienstagstreff.de/geschichten/c64aktionen/paperboyrad/index.php
verwiesen. Ein schönes Beispiel dafür, wie die Generation C64
kreativ mit gegebenen technischen Restriktionen umzugehen weiß.
Paperboy auf dem C64 zeigt, das
nicht jedes Spiel, welches in der momentan zu beobachtenden Retro
Welle zum unsterblichen Klassiker hochstilisiert wurde und wird,
diese Auszeichnung aufgrund seiner innewohnenden Qualitäten auch
verdient. Während der Automat aufgrund seiner Steuerung – BMX
Lenker – und seiner liebevoll gezeichneten Gegner Formationen auch
heute durchaus noch sehr kurzweilig zu spielen ist, erschien die C64
Umsetzung bereits 1986 als bestenfalls durchschnittlich. Eher
unansehlich gestaltete Spielfiguren bewegen sich hier mit einem
Affenzahn über den Bildschirm, welcher eine vernünftige Steuerung
an einigen Stellen fast unmöglich macht. Lediglich die musikalische
Untermalung ist durchaus auch heute noch hörenswert.
Seinen Klassiker Status verdankt die
C64 Version von Paperboy weniger seinen spielerischen Qualitäten als
vielmehr der Tatsache, das viele Retro Freunde durch alte Computer
Spielen auf der Suche nach ihrer verlorenen Zeit sind. Der verlorenen
Zeit ihrer eigenen unbeschwert geglaubten Jugend. Retro als Form der
Heimatsuche in einer immer schneller strudelnden Moderne. Und für
viele Angehörige der Generation +/- 40 war Paperboy in der
Automaten- oder C64 Version tatsächlich einer der ersten Kontakte
mit dem Medium Videospiel. Aus dieser Perspektive 5 von 5 Punkte
für ein im Grunde höchst durchschnittliches Videospiel...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen